All die Liebenden der Nacht

Fuyuko ist 34 Jahre alt, Korrekturleserin und einsam. Sie lebt für ihre Arbeit, die sie mit selbstausbeuterischer Gewissenhaftigkeit verrichtet. Einzig der Spaziergang, den sie regelmäßig durchs nächtlich erleuchtete Tokio unternimmt, bereitet ihr neben dem Beruf Freude. Sie hat sich in ihrem Einsiedlerinnenleben eingerichtet, bis sie eines Tages in den Spiegel sieht und feststellt, dass sich ihr ganzes Dasein in einem einzigen Wort zusammenfassen lässt: miserabel.

In diesem Moment entscheidet sie, dass sich etwas ändern muss – und fasst einen folgenschweren Entschluss: Sie beginnt zu trinken. Was mit einem Feierabendbier beginnt, gerät allmählich außer Kontrolle, und bald verlässt Fuyuko das Haus nicht mehr ohne eine Thermoskanne Sake. Bisher bloß am Beckenrand wagt sie sich nun hinein ins Leben – und sinkt immer tiefer. Allein die zufällige Begegnung mit einem Mann namens Mitsutsuka bewahrt sie davor, unterzugehen.

Intensiv und aufwühlend zeichnet Mieko Kawakami das Bild einer Frau, die erkennt, dass sie auf sich selbst hören muss, um von der Randfigur zur Protagonistin im eigenen Leben zu werden.

Dieser Roman zeichnet ein Bild einer Frau, in die wir uns bei der ersten Beschreibung nur schwer hineinversetzen können. Doch genau dies gelingt Mieko Kawakami in diesem Buch. Sie erzählt von einer Protagonistin, die nur in Ausnahmefällen mal eine aktive Entscheidung trifft und das Leben ansonsten einfach passieren lässt. Die Leser:innen begleiten Fuyuko durch ihre Gedankengänge, die zumindest aus ihrer Perspektive einen Sinn ergeben. Wir sind in der Lage, ihrer Logik zu folgen, auch wenn wir ihr regelmäßig widersprechen wollen. Am Ende zeigt uns dieses Buch, das es nie zu spät ist, etwas im Leben zu ändern und wie uns Freundschaften sowie Beziehungen zu anderen Menschen dabei helfen können, wenn wir dies zulassen.  Den für uns richtigen Weg im Leben zu finden ist auch dann möglich, wenn es nicht auf Anhieb gelingt.

Empfohlen von Korbinian Roth

All die Liebenden der Nacht – Mieko Kawakami, übersetzt von Katja Busson
Gebunden 24,- € – DuMont